Im Dunstkreis von Atomwaffen

Die Gefahr eines Atomkrieges ist so groß wie lange nicht mehr. Doch Deutschland versteckt sich auf der Konferenz in New York in der Frage der Abrüstung hinter der NATO .

Ein Blog-Beitrag von Xanthe Hall  vom 30.04.2015

Alle fünf Jahre trifft sich die Staatengemeinschaft, um die Gesundheit eines Vertrags zu überprüfen. Der Vertrag soll verhindern, dass mehr als fünf Staaten Atomwaffen erwerben oder entwickeln. Gleichzeitig werden die fünf Atomwaffenstaaten rechtlich verpflichtet, ihre Atomwaffen zu beseitigen. Dieser Vertrag ist in Deutschland in Vergessenheit geraten. Dabei ist die Gefahr eines Atomkrieges so groß wie lange nicht mehr: Der fortschreitende Konflikt zwischen der NATO und Russland könnte auch atomar eskalieren.

Eine schnelle Suche nach Nachrichten zum Stichwort „Atomwaffensperrvertrag“ oder „Nichtverbreitungsvertrag“ (zwei Namen, unter denen das Vertragswerk bekannt ist), ergibt kaum einen Treffer, obwohl die vierwöchige Konferenz am Montag dieser Woche begann.

Unser Nachbarland Österreich nimmt allerdings die Aufgabe ernster. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz flog nach New York und hielt dort im Auftrag von 160 Staaten eine flammende Rede über die Notwendigkeit, Atomwaffen zu verbieten - aufgrund der katastrophalen humanitären Folgen eines einzigen Einsatzes. Und Deutschland? Unsere Bundesregierung schickt den Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth nach New York, der in seinem unverblümten pfälzerischen Englisch meint: „Let's force the pace, ladies and gentlemen!“– ein hilfloser Appell an die Staaten, die konkreten Verabredungen der letzten Konferenz vor fünf Jahren auch umzusetzen.

Die deutsche Sektion der internationalen Kampagne für die Ächtung von Atomwaffen – kurz ICAN Deutschland – versucht seit Wochen das Thema  Abrüstung auch in Deutschland auf die Agenda zu setzen. Ihre RepräsentantInnen führten viele Gesprächen mit den offiziellen VertreterInnen Deutschlands, Bundestagsabgeordneten und Forschungsinstituten und verschickten Pressemitteilungen, um auf die Dringlichkeit von atomarer Abrüstung aufmerksam zu machen. Vergebene Liebesmüh? Die Fraktionen der Großen Koalition konnten sich nicht einmal auf einen aussagekräftigen Bundestagsantrag einigen und verwiesen stattdessen auf die Krise in der Ukraine und die „bösen“ Russen. Niemand habe große Erwartungen, dass die beiden großen Atommächte sich auf neue Abrüstungsschritte einigen könnten. Die Koalition ist eher erleichtert, eine militärische Konfrontation zwischen Atomwaffenstaaten aufgrund der Krimkrise abgewendet zu haben.

Doch gerade weil die Verhandlungen der Atommächte so festgefahren sind und der langjährige Ansatz von Trippelschritten die Staatengemeinschaft seit 20 Jahre nicht einen Millimeter weiter zum Ziel einer Abrüstung von Atomwaffen gebracht hat, schlagen Österreich und die Mehrheit der atomwaffenfreien Staaten der Welt nun einen neuen Ansatz vor. Sie wollen aufhören über Abschreckung und strategische Stabilität zu reden und auf die verheerenden Folgen der Atomwaffen fokussieren. Es sind allesamt Länder, die selbst über keine Atomwaffen verfügen. Also interessiert es sie wenig, worin der Sicherheitsmehrwert dieser Massenvernichtungswaffen besteht. Für diese Länder bleibt aber die Gefahr bestehen, dass auch ihr Land im Falle eines Atomkrieges betroffen wäre. Denn Radioaktivität kennt keine Grenzen.

Es lohnt sich, zu hören, was Außenminister Sebastian Kurz in seiner Rede in New York sagte. Drei Konferenzen zum Thema humanitären Folgen von Atomwaffen mit Expertenvorträgen von Hilfsorganisationen, Ärzten, UN-Beamten und Atombombenopfer zeichneten ein bedrohliches Szenario. Sollte es zu mehreren Atombombeneinsätzen kommen, wären die globalen Folgen katastrophal. Ein gefährliches Feuer, mit dem wir nicht spielen dürfen. Atomwaffen sind ebenso inakzeptabel wie andere Massenvernichtungswaffen - sogar noch mehr - und müssen geächtet werden.

Deutschland verteidigt seine Haltung mit dem Hinweis auf Bündnistreue. Leider seien ihnen die Hände gebunden, weil die USA , Frankreich oder die baltischen Staaten nicht auf die Atomwaffen bzw. die nukleare Teilhabe verzichten wollten  oder weil Russland zu gefährlich brülle. So werden wir die Atomwaffen aber nie mehr los. Wie ein Nichtraucher, der hofft, dass die anderen endlich mit dem Rauchen aufhören, bleibt er im toxischen Dunstkreis der Zigaretten, der ihn irgendwann umbringt.

Xanthe Hall ist Abrüstungsexpertin der IPPNW und sitzt im Vorstand von ICAN Deutschland.