IALANA: Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft bedarf der Überprüfung durch ein unabhängiges Gericht. Kritische Stellungnahme zu der am 19. April 2010 bekannt gegebenen Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Generalbundesanwaltschaft gegen die Verantwortlichen des Bundeswehr-Luftangriffs vom 4. September 2009 bei Kunduz/Afghanistan.

1. Zutreffend ist die Generalbundesanwaltschaft davon ausgegangen, dass es sich bei den militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan zwischen den ISAF-Verbänden einerseits sowie den Taliban und den anderen Widerstandsgruppen andererseits um einen „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“ im Sinne des so genannten humanitären Völkerrechts und des Völkerstrafrechts handelt. Die Strafbarkeit der für den Luftangriff und dessen schreckliche Folgen verantwortlichen Soldaten der Bundeswehr hängt deshalb davon ab, ob es sich dabei um eine völkerrechtlich zulässige oder unzulässige Kampfhandlung handelte.

2. Zuzustimmen ist der Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft auch darin, dass die Normen des allgemeinen Strafrechts neben denen des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) anwendbar sind. Sofern also der Verbrechenstatbestand des § 11 Abs. 1 Nr. 3 VStGB (Kriegsführungsverbrechen), der für den Tatnachweis einen absichtlichen Verstoß gegen bestimmte Vorschriften des Kriegsvölkerrechts („humanitäres Völkerrecht“) voraussetzt, nicht erfüllt ist, kommt mithin bei einer durch Soldaten erfolgten Tötung von Zivilpersonen auch eine Strafbarkeit etwa wegen bedingt vorsätzlicher Tötung (§ 212 StGB) oder wegen fahrlässiger Tötung (§ 230 StGB) in Betracht, sofern sich der Täter nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.

3. Die Einschätzung und Wertung der Generalbundesanwaltschaft, die durch den Luftangriff bei Kunduz am 4.9.2009 erfolgte Tötung der am Tatort offenkundig zahlreich anwesenden afghanischen Zivilpersonen stehe nicht „außer Verhältnis zu dem insgesamt (mit dem Luftangriff) erwarteten konkreten und militärischen Vorteil“ und sei deshalb gerechtfertigt, ist nicht nachvollziehbar. Der von Oberst Klein mit dem Luftangriff angestrebte konkrete unmittelbare militärische Vorteil wird von der Generalbundesanwaltschaft nicht dargelegt, geschweige denn begründet. Die beiden gekaperten Lastwagen saßen seit Stunden im Sand der Flussfurt bei Kunduz fest. Eine konkrete oder gar unmittelbare Gefahr etwa für das mehrere Kilometer entfernte Bundeswehrlager konnte von ihnen schon deshalb schwerlich ausgehen. Zudem hätten sie weiterhin beobachtet und unter Kontrolle gehalten werden können. Was nach Auffassung der Generalbundesanwaltschaft den Tod der zahlreichen unbeteiligten Zivilpersonen im vorliegenden Fall ungeachtet dessen dennoch konkret als „verhältnismäßig“ rechtfertigen können soll, bleibt so im Dunkeln.

4. Völlig unklar bleibt auch, warum – wie die Generalbundesanwaltschaft meint – Oberst Klein davon „ausgehen durfte, dass keine Zivilisten vor Ort waren“. Die Nähe des Dorfes und die ausweislich der Videoaufzeichnungen zahlreichen am Tatort befindlichen Personen, die an den Lastwagen Benzinkanister abfüllten und in Richtung Dorf wegtrugen, sprachen gerade dagegen.

5. Wenn nach Auffassung der Generalbundesanwaltschaft Oberst Klein „sich der Verpflichtung bewusst war, zivile Opfer soweit irgend möglich zu vermeiden“, ist nicht erklärlich, warum er dann dem Vorschlag der beiden amerikanischen Flugzeugbesatzungen nicht entsprach, zunächst zur Warnung der am Tatort anwesenden Zivilpersonen zweimal mit den Flugzeugen über den Tatort zu fliegen, ehe man sich zum Bombardieren entschloss. Dazu schweigt sich die Generalbundesanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung aus.

6. Wenn Oberst Klein sich tatsächlich der Verpflichtung bewusst gewesen wäre, „zivile Opfer soweit irgend möglich zu vermeiden“, wäre von der Generalbundesanwaltschaft zu klären gewesen, warum dann Oberst Klein und/oder weitere Bundeswehrangehörige dem ISAFKommando vor der Bombardierung nach vorliegenden Berichten wahrheitswidrig versichert haben, die Voraussetzungen für einen Luftangriff („Feindberührung“ der eigenen Truppe) seien nach den ISAF-Regeln erfüllt? Hätte eine wahrheitsgemäße Beantwortung der IASFAnfrage nicht gerade den Luftangriff und damit die zahlreichen zivilen Opfer verhindert?

7. Die vorliegende Einstellungsentscheidung macht deutlich, dass die Generalbundesanwaltschaft in ihrem jetzigen institutionellen Zuschnitt für eine unabhängige und unparteiische Untersuchung strafrechtlich relevanter Vorgänge im Bereich der politisch kontrollierten Exekutive strukturell nicht geeignet ist. An ihrer Spitze steht ein politischer Beamter oder eine Beamtin, der/die von der Exekutive(Bundesregierung) weisungsabhängig ist und bei Fehlen von hinreichendem „Vertrauen“ von dieser jederzeit von seinen/ihren Aufgaben entbunden und in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden kann. Das macht eine unabhängige und unparteiische Ermittlung und damit auch jede Einstellungsentscheidung strukturell defizitär.

8. Umso notwendiger ist es, nach der nicht nachvollziehbaren Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft ein Klageerzwingungsverfahren vor einem unabhängigen deutschen Gericht einzuleiten. Dies kann durch die Opfer des Luftangriffs bzw. ihre überlebenden Angehörigen vor dem zuständigen Oberlandesgericht geschehen. IALANA würde es begrüßen, wenn die von den Opfern beauftragten Rechtsanwälte ein solches Rechtsmittel fristgerecht einlegen würden.

9. Unabhängig von der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens muss von den zuständigen Stellen der Bundeswehr, letztlich vom Bundesverteidigungsminister, jedenfalls ein wehrdisziplinares Ermittlungsverfahren gegen die für den Luftangriff verantwortlichen Bundeswehrsoldaten eingeleitet werden. Sollte sich dabei herausstellen, dass die von der Generalbundesanwaltschaft - leider nur andeutungsweise - erwähnten innerdienstlichen Einsatzregeln der Bundeswehrführung und des ISAF-Verbandes („rules of engagement“) von Oberst Klein oder anderen Verantwortlichen im Zusammenhang mit dem Luftangriff nicht eingehalten worden sind, besteht der hinreichende Verdacht, dass diese Soldaten gegen ihre zentralen soldatischen Dienstpflichten zum treuen Dienen (§ 7 Soldatengesetz) sowie zur unverzüglichen und gewissenhaften Befolgung der Befehle von Vorgesetzten (§ 10 Abs. 1 Soldatengesetz) verstoßen haben. Die Einleitung eines wehrdienstgerichtlichen Disziplinarverfahrens wäre dann unausweichlich. Man darf gespannt sein, wie sich der
Bundesverteidigungsminister und die ihm unterstellten Stellen insoweit gerieren werden.

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