Erweiterte Fassung eines Vortrags, den Deiseroth am 31.08.2014 in St.Petri in Lübeck gehalten hat.

Einleitung
Wer nach Lübeck kommt und einen Vortrag zum „Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta“ halten soll, der muss zunächst auf eine Persönlichkeit zu sprechen kommen, die mit dieser Stadt in besonderem Maße verbunden ist: auf Willy Brandt, der ja hier in Ihrer wunderschönen Stadt das Licht der Welt erblickte und seine prägenden jungen Jahre verbrachte, und 1933 von hier aus vor den Nazis fliehen musste. Lübeck hat ihm 1972 insbesondere in Würdigung seiner herausragenden Verdienste um den Frieden die städtische Ehrenbürgerschaft verliehen. Willy Brandt hat in seiner Dankesrede anlässlich der Entgegennahme des Friedensnobelpreises im
Dezember 1971 in Oslo eine Botschaft formuliert, die es verdient, an dieser Stelle zitiert zu werden:

„Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. ... Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio.“ (also die „äußerste Unvernunft“).


Das liegt ganz nahe bei Gustav Heinemann. In seiner Antrittsrede nach seiner Vereidigung als Bundespräsident hat Heinemann am 1. Juli 1969 eine – wie ich annehme – uns alle verbindende wichtige Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, die bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren hat. Ich zitiere: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken unterwiesen wurde, sondern heute ist der Frieden der Ernstfall. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“


Zwei Umstände sind es, die es m.E. aktuell geboten erscheinen lassen, an den Beginn unserer Überlegungen leitmotivisch diese Worte von Willy Brandt und Gustav Heinemann
zu stellen.


Zum Einen ist es die unverkennbare Entwicklung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat als Regierungschef seiner rot-grünen Koalition diese Entwicklung sinngemäß auf die vielsagende Formel gebracht: Ihm und seiner Regierung sei es endlich gelungen, das Militärische in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu „enttabuisieren“. Ich wiederhole: zu enttabuisieren. Unsere gegenwärtige Bundesregierung der „Großen Koalition“ hat daran nichts auszusetzen. Sie setzt auch insofern auf Kontinuität. Und die Fakten belegen: Die weltweiten militärischen Einsätze der Bundeswehr sind inzwischen weithin zur „Normalität“ geworden; sie sollen, wenn wir die Botschaften führender Politiker unseres Landes etwa bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar dieses Jahres beim Wort nehmen, an Bedeutung noch zulegen.

Und ich füge gleich meinen zweiten Anlass für das Aufgreifen der zitierten Monita von Willy Brandt und Gustav Heinemann hinzu. Es ist ein fulminantes Interview, das Hans-Peter Kaul dem Berliner „Tagesspiegel“ gegeben hat. Es wurde vor wenigen Tagen publiziert. Ich möchte es Ihnen sehr zur Lektüre empfehlen. Hans-Peter Kaul, der vor wenigen Wochen allzu früh verstorbene deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der zuvor lange Jahre als Spitzenbeamter im Auswärtigen Amt tätig war, hat darin auf eine fundamentale Erkenntnis hingewiesen, die bei vielen politischen Entscheidungsträgern und auch in unseren Medien leider nur sehr unzureichend präsent ist: Der Einsatz bewaffneter militärischer Gewalt – ich zitiere Hans-Peter Kaul wörtlich – führt stets „fast automatisch zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Es gibt keinen Militäreinsatz ohne Verbrechen.“ Das sog. Humanitäre Kriegsvölkerrecht, die sog. Genfer Konventionen, bieten dagegen – leider - keinen wirksamen Schutz. Die Bilder in den Medien und die grausamen Informationen, die uns über die von Militäreinsätzen und ihren hochexplosiven Waffen bewirkten Trümmerwüsten und das menschliche Leid in Afghanistan, im Irak, in der Ukraine und im Gaza-Streifen/Palästina erreichen, belegen dies wieder und wieder erschreckend nachhaltig.

 

Download: Erweiterte Fassung Vortrag Dieter Deiseroth - Friedensgebot des Grundgesetzes