Rede von Otto Jäckel auf der Stopp-Ramstein-Kundgebung am 11.6.16 in Kaiserslautern

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde ,
alles läuft über Ramstein! Das ist die Erkenntnis, die uns der ehemalige US-amerikanische Drohnenpilot Brandon Bryant vermittelt hat. Ohne ihn, ohne sein Whistleblowing, wüssten wir kaum etwas darüber, welche Rolle das Air and Space Operations Centre und die Satelliten Relais Station mit 12 Satellitenantennen und über 650 Mitarbeitern sowie das Distributed Common Ground System 4 (DGS-4) zur Auswertung von Drohnenbildern auf der Air Base Ramstein im Drohnenkrieg spielen. Deshalb haben wir – IALANA Deutschland und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler – Brandon Bryant zu Recht im vergangenen Jahr den Whistleblowerpreis verliehen.

Als nur eines von vielen Details wissen wir von ihm auch, dass die von der US-Air Force und der CIA eingesetzten Drohnen Reaper (auf Deutsch Sensenmann) der Fa. General Atomics über ein Gilgamesh Ortungssystem für die Funksignale von Mobiltelefonen verfügen. Das Gilgamesh System wird dazu benutzt, um die von den Drohnen abgeschossenen Hellfire Raketen ins Ziel zu steuern. Pech, wenn die Zielperson das Handy kurz zuvor an ein Familienmitglied oder jemand anderen zur Benutzung weitergegeben hat.
Wenn wir dieses Detail kennen, dann muss uns doch sehr wundern, wenn der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Fromm vorgestern vor dem NSA- Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages erklärt, er habe bis zum Ende seiner Dienstzeit 2012 nicht gewusst, dass die Ortung von Telefondaten bei Drohnenangriffen eine Rolle spielt. Allerdings, so Fromm, habe er bei den US Behörden auch nicht nachgefragt, wofür sie die ihnen vom Verfassungsschutz übermittelten Telefondaten denn verwenden wollen. So kam es halt, dass inzwischen auch fünf oder sechs deutsche Staatsangehörige Drohnenangriffen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zum Opfer gefallen sind. Und wenn der aktuelle Verfassungsschutzpräsident Maaßen den Abgeordneten vorgestern erklärt, es sei eine Unterstellung, dass der Verfassungsschutz an diesen Morden mitgewirkt hat, dann sage ich, der Mann sollte heute noch entlassen werden. Wir brauchen keine Geheimdienstchefs, die mit fremden Diensten gegen die eigenen Staatsbürger konspirieren und anschließend die Aufklärung dieser Konspiration abblocken.
Liebe Freunde,
Folgendes steht fest: Völkerrechtlich erlaubt ist der Einsatz von bewaffneten Drohnen ausschließlich im Einsatz gegen klar als solche erkennbare bewaffnete Kombattanten einer an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Partei. Allerdings ist nach Art. 57 des 1. Zusatzprotokolls zu den Rotkreuzabkommen bei jedem Angriff in einem Krieg zu beachten, dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte verschont bleiben.
Nach Absatz 2 der Regelung ist von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste unter der Zivilbevölkerung und die Verwundung von Zivilpersonen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.
Gegen diese Regelung, die einfach, klar und für jeden verständlich ist, wird im Drohnenkrieg der USA strukturell und permanent verstoßen.
Allein in dem Zeitraum von 2009 bis 2015 wurden bei Drohnenangriffen in Pakistan, Jemen und Somalia über 4500 Menschen getötet. Dabei kommen nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Reprieve auf jede getötete Zielperson durchschnittlich 28 Unbekannte, die getötet werden.
Bei sogenannten „Signature Strikes“ werden Menschen allein aufgrund ihrer Verhaltensmuster als Zielpersonen ausgewählt. Dabei ist gar nicht bekannt, wen man da tötet.
In jedem Fall haben wir es bei jedem Drohneneinsatz, der sich nicht ausschließlich gegen Kombattanten richtet, mit extralegalen Hinrichtungen zu tun, mit der Vollstreckung der in Deutschland verbotenen Todesstrafe ohne Anklage, ohne Verteidigung und ohne gerichtliches Urteil.
Das ist nichts anderes als Lynchjustiz, liebe Freunde.
Jeder Drohneneinsatz außerhalb eines Kriegsgebiets, also z. B. in Pakistan, Jemen oder Somalia stellt darüber hinaus einen Verstoß gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr.4 der Charta der Vereinten Nationen dar und ist damit eine völkerrechtswidrige Aggression.
Nach Art. 3 f) der Aggressionsdefinition in der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14.12.1974 stellt es auch eine Aggression im Sinne der Charta der Vereinten Nationen dar, wenn ein Staat einem anderen Staat erlaubt, von seinem Staatsgebiet aus eine Aggression gegen einen dritten Staat zu führen. Genau damit, liebe Freunde haben wir es hier in Ramstein zu tun.
Solange die Bundesregierung die USA gewähren lässt, von deutschem Boden, von Ramstein aus, völkerrechtswidrige Aggressionshandlungen zu begehen, ist sie selbst dabei Mittäter.
Mein Kollege Peter Becker und ich haben daher für den Friedensaktivisten und Herausgeber der Luftpost, in der Ihr im Internet alle relevanten Informationen über die Air Base Ramstein finden könnt, für den Kaiserslauterer Wolfgang Jung in drei Instanzen vor dem Verwaltungsgericht Köln, dem Oberverwaltungsgericht Münster und dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig ein Verfahren gegen die Bundesregierung geführt.
Unser Klageantrag lautete: Die Beklagte wird verurteilt, die Benutzung des Air and Space Operations Centre und der SatCom Relaisstation auf der Air Base Ramstein für die Steuerung bewaffneter Drohneneinsätze durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten oder ihrer Geheimdienste zu überwachen und vor jedem dieser Einsätze durch eigenes Personal sicherzustellen, dass der Waffeneinsatz sich ausschließlich gegen Kombattanten richtet und die Tötung und Verletzung einer unverhältnismäßigen Zahl von Zivilisten ausgeschlossen ist.
Wir haben also nur genau das eingeklagt, was durch das von mir eben zitierte humanitäre Völkerrecht sowieso geboten ist.
In einem weiteren Antrag haben wir verlangt, dass den USA und ihren Dienststellen die weitere Nutzung der Air Base Ramstein für die Steuerung von Drohneneinsätzen untersagt wird, falls sie sich weigern, sich der gebotenen Kontrolle durch deutsche Behörden zu unterziehen. Also Stopp mit dem Drohnenkrieg in Ramstein!
Die Verwaltungsgerichte haben unsere Klage in allen drei Instanzen abgewiesen.
Zu Recht hat die Süddeutsche Zeitung am 6. April 2016 in ihrem Bericht über die mündliche Verhandlung geschrieben:
„Die Richter halten sich raus. Berlin muss nicht gegen Drohneneinsätze der USA vorgehen.“
Die Richter meinten, Wolfgang Jung sei – obwohl Nachbar der Air Base – gar nicht klagebefugt und im Übrigen sei es der Bundesregierung selbst überlassen, ob sie überhaupt und wenn ja, wie sie in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik vorgehe.
Die Vorstellung, dass ein Bürger dazu berechtigt sein könnte, völkerrechtswidriges Verhalten der Regierung zu rügen, war dem Gericht völlig fremd, obwohl genau dies so in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehen ist, einer Vorschrift, die sich bisher ungenutzt in einem Dornröschenschlaf befunden hat und die wir gegen das politische Vorverständnis der Richter offenbar nicht im ersten Anlauf aufwecken konnten.
Die weithin unbekannte und unbeachtete Regelung lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und“ - jetzt kommt das schlafende Dornröschen – „erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets“.

Liebe Freunde, was müssen wir tun, damit sich das politische Verständnis in unserem Land und damit auch das politische Vorverständnis von Richtern ändert – damit sie mit solchen Entscheidungen, wie sie sie bisher getroffen haben, auch in ihrem persönlichen Umfeld, in ihrer Familie, in ihrem Bekanntenkreis und unter Kollegen auf Unverständnis stoßen und ihre Haltung ändern?
Bertolt Brecht hat in seinen Flüchtlingsgesprächen hierzu ein schönes Bild gebraucht über das Verschwinden der Dinosaurier, das ich hier kurz aus einem Dialog zwischen zwei Flüchtlingen zitieren will:
„Die Wissenschaft nimmt übrigens heute an, das der Übergang eines Zeitalters in ein anderes ruckartig, Sie können auch schlagartig sagen, stattfindet. Lange Zeit hindurch gibt es winzige Veränderungen, Unstimmigkeiten und Verunstaltungen, welche den Umschlag vorbereiten. Aber der Umschlag selber tritt mit dramatischer Plötzlichkeit ein. Die Saurier bewegen sich sozusagen noch eine geraume Zeit in der besten Gesellschaft, wenn sie auch schon etwas ins Hintertreffen geraten sind. Es steht niemand mehr hinter ihnen, aber sie werden noch gegrüßt.
Und dann kommt plötzlich der totale Umschwung.“
Liebe Freunde, die Dinosaurier, das sind heute die Drohnenhersteller General Atomics, das sind die Banken, die das Geschäft von Firmen wie General Atomics finanzieren, das sind vor allem die Politiker und Militärs, die die Drohnen in Auftrag geben und zum Einsatz bringen und das sind nicht zuletzt auch Richter, die sich aus der Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung auch dann heraushalten, wenn diese erkennbar völkerrechtswidrig ist.
Liebe Freunde, lasst uns die kritische Masse für einen Umschwung schaffen gegen die Drohnenkrieger und ihre Mittäter in unserem Land – in dem wir aufstehen, uns in Bewegung setzen und heute viele und morgen immer mehr werden!

Mein letztes Wort ist ein Vers aus einem Lied von Annett Louisan, das sie vor kurzem auch gemeinsam mit Samy Deluxe gesungen hat:
„Stell Dir vor, dass unten oben wär!

Liebe Freunde, stellt Euch vor, unten wär oben!