<Am 8. März postete die Wochenzeitung "The Nation" auf ihrer Internetseite einen Artikel von Larry Derfner aus Jerusalem. Thema ist die wachsende Kriegsgefahr im Nahen Osten und die zunehmende Kritik an der Kriegsrhetorik der politischen Führung Israels. Eckart Fooken hat den Artikel für uns übersetzt. >
In seinem ersten öffentlichen Statement zum Konflikt mit dem Iran sagte David Grossman, der führende Schriftsteller der letzten Generation und die lauteste Stimme des moralischen Gewissens seines Landes, gegenüber The Nation, dass er Gegner eines Angriffs auf die Islamische Republik durch Israel oder die USA sei, da die zu erwartenden Folgen noch beängstigender seien als die Folgen eines Atombomben herstellenden Iran.
„Ich will nicht, dass der Iran über nukleare Waffen verfügt, aber ich glaube, wenn die Sanktionen nichts bewirken, werden Israel und die ganze übrige Welt, so schmerzlich das sein mag, damit leben müssen,“ sagte Grossman und warnte, dass die Bombardierung des Iran „einen Alptraum, der nur schwer zu beschreiben ist“ in Gang setzen würde. Gleichwohl, sagte er, er hätte „das sehr ungute Gefühl“ dass Premierminister Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Ehud Barak einen Angriff befehlen würden, selbst gegen amerikanische Wünsche. „Es liegt da eine Eigendynamik in all diesen kriegerischen Erklärungen.“
Er sprach über Telefon aus seinem Haus außerhalb Jerusalems letzten Dienstag. Am Tag zuvor hatte Netanyahu seine militanten Ansichten über den Iran im Weißen Haus bei einem Treffen mit Präsident Barack Obama vorgetragen, und später hielt er eine furchteinflößende Rede vor einer AIPAC-Versammlung, in der er Holocaust Analogien verwendete und schwor, dass das jüdische Volk „nie wieder“ sein Überleben einer anderen Nation als der eigenen anvertrauen würde.
„Israel“, sagte Grossman, “ist eine zutiefst traumatisierte Gesellschaft, die es als sehr schwierig empfindet, zwischen realen Gefahren und Echos der Traumata der Vergangenheit zu trennen, und manchmal glaube ich, feuert sich unserer Premierminister geradezu an, diese realen Gefahren mit jenen Echos der Vergangenheit zu vermengen.“
Er befürchte, dass Netanyahu und Barak den Iran bombardieren würden, teils aus einer vermeintlichen strategischen Notwendigkeit ihre Drohungen mit Aktionen stützen zu müssen, aber auch wegen dem, was er als Netanyahus Verständnis von historischer Verantwortung für die Rettung des „ewigen Volks“ sieht.
„Er hat diese Vorstellung, dass wir das „ewige Volk“ sind – am ha’netzach aus der Bibel – und unsere Verhandlungen , so wie er es sieht, sich vor dem Hintergrund der Ewigkeit vollziehen, mit den ursprünglichsten Strömungen der Geschichte und der Menschheit, wohingegen die USA, bei allem gebührenden Respekt, nur eine weitere Großmacht wie Rom oder Athen oder Babylon sind, und die haben wir alle überlebt,“ sagte Grossman. „Ich befürchte, dass diese Denkweise Netanyahu ermutigen könnte, den Schritt zu unternehmen“ den Iran anzugreifen.
Grossmans Sohn Uri wurde 2006 im Libanon Krieg getötet, zwei Tage nachdem der Verfasser öffentlich zu einer Feuerpause aufgerufen hatte und während er an den letzten Kapiteln seines gefeierten Roman über Krieg und Frieden, To the End of the Land (dt.: "Eine Frau flieht vor einer Nachricht", d. Übers.) schrieb. Als leidenschaftlicher Kritiker des israelischen Militarismus und der Behandlung der Palästinenser beklagte er den Overkill des Dezember 2008- Januar 2009 Kriegs in Gasa und beteiligte sich an den letztjährigen wöchentlichen Protesten gegen die Enteignungen von Palästinensern in Jerusalems Sheikh Jarrah Viertel, wobei er bei einer davon Prügel durch die israelische Polizei bezog.
Der 58-jährige Autor sagte, die Aussicht auf Krieg mit dem Iran wäre „die größte Sorge meines Lebens zur Zeit. Ich wache damit auf, ich gehe damit zu Bett, und ich verbringe jeden Tag Stunden damit es zu verstehen.“ Er sagte, er diskutiere es mit Kollegen, Bekannten und Leuten „die Einfluss haben“, und jeder von denen sei „zögerlich“ hinsichtlich des Auslösens eines Krieges durch Israel.
Gefragt warum er sich bisher noch nicht öffentlich dazu geäußert habe, wo er doch sehr lautstark seine Ablehnung vergangener Kriege Israels und der Besetzung palästinensischer Gebiete kundgetan habe, sagte Grossman er sei erfüllt von den gleichen Zweifeln und Hemmungen, die die gesamt Öffentlichkeit schweigsam gehalten hätten, weil sie das Gefühl hätten, sie besäßen einfach nicht alle notwendigen Informationen.
„Vergessen Sie nicht“, sagte er, „wir sprechen hier über fanatische, fundamentalistische Führer im Iran, die offen erklärt haben, dass sie Israel auslöschen wollen. Und die könnten in den Besitz von Atomwaffen kommen. Es ist wichtig sich der Komplexität diese Dilemmas zu stellen – es ist keine abstrakte moralische Debatte, sondern etwas sehr, sehr Konkretes.“
Gleichwohl sagte Grossman, dass, falls Sanktionen und Diplomatie nicht das iranische Atomprogramm stoppen könnten, das Vertrauen auf Abschreckung weniger gefährlich wäre, als der Beginn eines Krieges mit offenem Ausgang. In Anbetracht der chemischen und biologischen Waffen des Irans lebe Israel bereits in einem „Gleichgewicht des Terrors“. Während er zugestand, dass ein atomarer gerüsteter Iran das Patt „gefährlicher und akuter“ machen würde, befürchtete er, ein israelischer Angriff erwiese sich als „so zerstörerisch, das er selbst eine existentielle Gefahr für heraufbeschwören könnte. Ich denke, dass wir, Israel und der Iran, uns in einem nur schwer zu beschreibenden Alptraum wiederfinden werden.“
„Es trifft zu, er wäre verursacht um einen noch schlimmeren Alptraum in der Zukunft zu verhindern, aber“, so fragte er, “hat Jedermann das Recht, so viele Menschen sterben zu lassen im Namen dieser Furcht vor einem Ergebnis – einem atomaren iranischen Angriff auf Israel – das vielleicht nie eintreten wird ?“
Der Autor sagte, dass es zwar möglich sein könne, die nukleare Infrastruktur des Iran zu zerstören, es dagegen aber unmöglich sei, das Wissen für deren Wiederherstellung auszulöschen. „Und die Menschen, die dies Wissen haben, werden sich aus den Trümmern nach unserem Angriff erheben“, sagte er, „und sie werden beginnen eine neue Infrastruktur zu schaffen, nur dieses Mal werden sie erfüllt sein von Gefühlen der Demütigung, das Hasses und dem Wusch nach Rache, und dieses Mal werden sie die Unterstützung des iranischen Volkes dabei haben.“
Unter Hinweis auf die Präsenz von „mehr säkularen, gebildeten, realistischen Menschen“ im Iran, die in Massen tapfer 2009 gegen das Regime protestierten, sagte Grossman, dass dieses Gesicht des Iran ein Bild der Hoffnung biete auf eine zukünftige Führung im Iran, die Israel gegenüber weniger feindselig sein könnte. Aber er warnte, dass diese Hoffnung ebenfalls durch einen israelischen Angriff zerstört würde.
„Falls Israel den Iran bombardiert“, sagte er, „denke ich, wird unser Land - selbst von den vernünftigsten moderaten Iranern - gesehen werden als eine arrogante, größenwahnsinnige, gewaltbereite Nation“. Die Hoffnung Israels auf Frieden oder wenigsten Ruhe mit einer zukünftigen besseren iranischen Regierung „wäre auf Generationen hinaus ausgelöscht.“
* Originalbeitrag: "David Grossman Speaks Out Against War With Iran", in: The Nation, 8. März 2012
Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken