Außenminister Westerwelle hat derzeit nichts zu lachen. Er tat sich schwer mit einer Würdigung der Hilfe der NATO für die siegreichen libyschen Rebellen. Grund: Vor allem er dürfte es gewesen sein, der die deutsche Enthaltung bei der UN-Resolution 1973 herbeigeführt hat. In der Tat steht Deutschland in den Augen der Rebellen sicherlich schlechter da als Frankreichs Präsident Sarkozy. Aber für die deutsche Zurückhaltung sprachen gute Gründe. Denn die Rolle Deutschlands als „verlässlicher Bündnispartner“ hat durchaus zwei Seiten, wenn man das Völkerrecht und die Verfassung zu Rate zieht.


Zu erinnern ist zunächst daran, dass es vor allem die FDP war, die sich Auslandseinsätzen der Bundeswehr verweigerte. Für sie war die Bundeswehr nur „zur Verteidigung“ da. Im Out-of-Area-Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht klagte auch die FDP-Bundestagsfraktion neben der SPD gegen die Teilnahme der Bundeswehr an zwei UN- und einer NATO-Mission, was für die FDP besonders delikat war, weil sie zugleich an der Regierung beteiligt war, die die Missionen unterstützt hatte. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Teilnahme Deutschlands an solchen Missionen im Out-of-Area-Urteil 1994 zu mit der Begründung, dass Deutschland im Rahmen von UNO und NATO als „Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG an deren Missionen teilnehmen könne; die Einordnung der NATO als ein derartiges System ist aber durchaus zweifelhaft. Rechtsstaatlicher Pluspunkt des Urteils war die Bedingung des Bundesverfassungsgerichts für die Teilnahme an derartigen Missionen; sie bedürften einer Vorab-Zustimmung des Bundestags wegen der Rolle der Bundeswehr als „Parlamentsheer“.


Der erste große Kriegseinsatz Deutschlands, die von Rot/Grün beschlossene Teilnahme am NATO-Krieg gegen Jugoslawien, war nun gleich ein Beispiel für einen Einsatz ohne völkerrechts- und verfassungsrechtliche Legitimation. Es ist heute herrschende Meinung unter den Völkerrechtlern, dass dieser Krieg gegen das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta verstieß. Die Anwendung von militärischer Gewalt gegen einen Staat ist danach nur zulässig im Fall der Selbstverteidigung oder wenn der Sicherheitsrat zustimmt. Das war beim Jugoslawien-Krieg nicht der Fall. [Gerechtfertigt wurde der Krieg vielmehr als „humanitäre Intervention“ zur Verhinderung eines Völkermords im Kosovo. Dabei hat z. B. Heinz Loquai, seinerzeit Brigadegeneral der Bundeswehr, der für eine OSZE-Beobachtermission beurlaubt war, in seinem Buch Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg (2000) nachgewiesen, dass von Völkermord keine Rede sein konnte. Dasselbe ergibt sich aus zahlreichen Lageberichten des Auswärtigen Amtes für Asylverfahren, die die IALANA an die Öffentlichkeit gebracht hat. Loquai attestierte der NATO, sie habe sich als „Luftwaffe der UCK“ betätigt. Die völkerrechtliche Grundlage dafür, dass sich der Kosovo als Staat ausgerufen hat, ist also durchaus brüchig.


Auch die deutsche Beteiligung an der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) der Amerikaner in Afghanistan war fragwürdig. Die USA nahmen nach 9/11 zur Rechtfertigung das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta in Anspruch. Allerdings ist das Selbstverteidigungsrecht nach diesem Artikel nur gewährt, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Diese veranlasste der Sicherheitsrat dann in mehreren Resolutionen. Damit konnten sich die USA nicht mehr auf das Selbstverteidigungsrecht berufen; seither wird der „Krieg gegen den Terror“ ohne völkerrechtlich tragfähige Ermächtigung geführt. Die Bundeswehr musste sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2007, einem Verfahren, mit dem die Fraktion Die LINKE im Bundestag die Verletzung des NATO-Vertrags durch das ISAF-Mandat gerügt hatte, aus der OEF in Afghanistan zurückziehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte aufschlussreich formuliert, dass sich OEF auf das Selbstverteidigungsrecht „berufe“. Der darin zum Ausdruck gekommene Zweifel äußerte sich in dem Gebot, die Beteiligungen an OEF und ISAF müssten sauber voneinander getrennt werden; nur ISAF beruhe auf einem Mandat des Sicherheitsrates. Ergebnis: Zumindest sechs Jahre völkerrechtswidrige Beteiligung an OEF.
Am Irak-Krieg hat sich Rot/Grün zwar nicht militärisch beteiligt – mit gutem Grund: Auch dieser Krieg konnte sich nicht auf eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat berufen; und auf das Selbstverteidigungsrecht schon gar nicht. Aber entgegen dem von Schröder erweckten Eindruck, Deutschland unterstütze den Krieg nicht, stellte das Bundesverwaltungsgericht im  „Irak-Urteil“ vom 21.6.2005 fest, „dass insbesondere die Zusagen gemacht und erfüllt wurden, den USA und dem UK für den Luftraum über dem deutschen Hoheitsgebiet Überflugrechte zu gewähren, die Nutzung ihrer Einrichtungen in Deutschland zu ermöglichen sowie für den Schutz dieser Einrichtungen in einem näher festgelegten Umfang zu sorgen…“. Aber: Das völker- und verfassungsrechtliche Gewaltverbot verbiete auch Unterstützungsleistungen. Ergebnis: Diese deutschen Unterstützungsleistungen waren verfassungswidrig. Deswegen sprach das Bundesverwaltungsgericht den Major Pfaff, dessen Gewissenszweifel an Unterstützungsleistungen der Bundeswehr für den Irak-Krieg zu einer disziplinarischen Bestrafung geführt hatten, frei.


Auch beim Engagement der NATO in Libyen war aus ex ante-Sicht Vorsicht geboten. Denn der Sicherheitsrat verlangte zwar einen unmittelbaren Waffenstillstand, autorisierte die Mitgliedstaaten, „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um die Zivilbevölkerung in Libyen zu schützen, und verhängte dazu ein Flugverbot und ein Waffenembargo. Aber er erteilte den Staaten kein Mandat, selbst einen Regimewechsel in Tripolis herbeizuführen. Zudem war kaum ein NATO-Staat daran interessiert, sich mit Bodentruppen an den Kämpfen zu beteiligen (vgl. dazu Volker Perthes, Direktor der SWP, SZ v. 27.8.2011). De facto waren aber die Lufteinsätze der NATO, die sie „zur Luftwaffe des Übergangsrats“ machten (Perthes), für den Regimewechsel unerlässlich. Das Mandat des Sicherheitsrats wurde überschritten, wie Perthes feststellt. Rechtsfolge: Die NATO handelte mit allen auf den Regimewechsel abzielenden Einsätzen rechtswidrig.

Es ehrt den Juristen Westerwelle, dass er – vor dem Hintergrund einer zutreffenden rechtlichen Würdigung der früheren deutschen Kriegsbeteiligungen – Distanz zeigte und gerade nicht die „Bündnistreue“ über alles hielt – die in der Vergangenheit die Legitimation dafür lieferte, völkerrechtliche Befunde zu überspielen.   Außerdem war die deutsche Distanz keineswegs so konsequent, wie sich das heute ausnimmt. Deutschland hat dem Libyen-Einsatz in der NATO ausdrücklich zugestimmt. Deutsche Soldaten haben beim Targeting in den NATO-Einrichtungen mitgemacht (vgl. FAZ v. 23.8.2011), was Westerwelle jetzt den Vorwurf einträgt, insoweit nicht für ein Mandat des Bundestags gesorgt zu haben.
Also: Vermintes Gelände, und höchste Sorgfalt im Umfang mit dem Völkerrecht geboten!


Dr. Peter Becker, Co-Präsident der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA), Schützenstraße 6a, 10117 Berlin