IMI-Standpunkt 2012/049
"Schlachtfeld Innenstadt" von: Claudia Haydt
veröffentlicht am 4. September 2012
Was bis 2016 in der Colbitz-Letzlinger Heide entsteht, ist keine Kulisse für einen gesellschaftskritischen Science-Fiction-Film, sondern ein militärisches Ausbildungszentrum für den Städtekampf. Im dortigen Gefechtsübungszentrum (GÜZ) gibt es bereits sechs kleinere Übungseinrichtungen, die kosovo-albanischen und afghanischen Dörfern nachempfunden sind. Doch mit dem neuen »Urbanen Ballungsraum Schnöggersburg« entsteht etwas, was es bis jetzt in keinem Einsatzgebiet der Bundeswehr gibt, eine sechs Quadratkilometer große moderne Stadt mit U-Bahnhof, Autobahnauffahrten und modernsten Regierungsgebäuden. Militärkritiker ahnten es längst, nun gibt es die Bundesregierung zu: In der gigantischen Übungskulisse aus mehr als 500 Gebäuden kann zukünftig auch der Einsatz im Innern geprobt werden.
Dies geht aus einer junge Welt vorliegenden Antwort auf eine kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Inge Höger vor. Die Bundesregierung spricht hier Klartext. Zu den Aufgaben der Bundeswehr, die im GÜZ geübt werden sollen, gehören explizit der »Schutz kritischer Infrastruktur«, der »Heimatschutz« sowie »Innerer Notstand«. Die Linke-Abrüstungspolitikerin Höger befürchtet denn auch: »Was die Verfassungsrichter Mitte August ermöglichten, kann zukünftig in der Altmark geübt werden: der Einsatz der Bundeswehr in Inland.«
Die Kosten für den Betrieb des GÜZ sind beachtlich. So wurden für die bereits existierende Infrastruktur, für die Betreiberfirma Rheinmetall und zahlreiche weitere Posten bis heute beinahe eine Milliarde Euro ausgegeben. Der Häuserkampf in modernen Großstädten soll mit weiteren 100 Millionen gefördert werden. Die Bundesregierung gibt in der Anfrage zu, daß die urbanen Kriegsstrategien ohne Beteiligung des Parlaments in den Ausbildungsbetrieb aufgenommen wurden.
In der Antwort finden sich zudem Hinweise darauf, daß es im Luftraum über dem GÜZ und damit in der gesamten Region zukünftig lauter wird. 2013/2014 wird eine Behelfslandebahn in der Heide in Betrieb genommen. Diese soll so gut ausgebaut werden, daß darauf neben Herkules- und Transall-Militärflugzeugen auch der neue Airbus A400M landen kann. Transport- und Kampfhubschrauber üben schon jetzt verbundene Kriegsführung mit Bodenkräften. Militärexperten gehen jedoch davon aus, daß sich dies nach Aufstellung der Division »Schnelle Kräfte« im Jahr 2014 und der vollständigen Auslieferung des Kampfhubschraubers Tiger sowie des Transporthubschraubers NH90 noch deutlich verstärken wird. Ebenso wird voraussichtlich die Nutzung des unteren Luftraumes durch Drohnen zunehmen. Wenn es nach dem Wunsch des Verteidigungsministeriums geht, dann werden dort nicht nur wie bisher Überwachungsdrohnen, sondern auch Kampfdrohnen den Einsatz über städtischen Ballungsräumen üben können.
Auf die Frage nach eventuellen Übungsplänen von Polizei, allein oder gemeinsam mit den Militärs, lautet die Antwort etwas ausweichend: »Derzeit nein.« Der regierungsnahe »Newsletter Verteidigung« berichtet jedoch bereits, daß Kommandos von Bundes- und Länderpolizeien zukünftig das GÜZ nutzen wollen. Die Aufgabenprofile nähern sich bei Einsätzen in städtischen Ballungsräumen in jedem Fall an, und damit wird die Trennung von Polizei und Militär mehr und mehr aufgehoben. Der Verfassungsschutz befaßt sich zwischenzeitlich auch mit dem GÜZ, jedoch nicht mit den potentiell demokratiefeindlichen Übungsszenarien der Bundeswehr, sondern mit den für Mitte September geplanten Protesten gegen das Kriegstrainingszentrum.