B. F. am 6.11.17 auf der facebook-Seite der ialana:
„Ich habe gerade per mail die Ankündigung dieser Veranstaltung bekommen, wahrscheinlich
weil ich mit der IPPNW vernetzt bin. Und wenn ich hier auf der Seite der IALANA
kurz durch scrolle, ist das Engagement für mehr Wahrheit und Gerechtigkeit
spürbar. Doch ich bezweifle stark, ob der Einsatz für Can Dündar dazugehören
sollte. Erstens frage ich mich, da es die "deutsche Sektion" ist, was Can Dündar
mit Problemen in Deutschland zu tun hat bzw. ob es nicht genug Probleme im
eigenen Land gibt.
Zweitens, inwieweit wirklich objektiv der Fall Dündar
betrachtet wird bzw. werden kann von Deutschen, die der türkischen Sprache nicht
mächtig sind bzw. sich scheinbar nur mit Menschen aus türkischen
Oppositionskreisen treffen. Da ich seit Jahren in der Türkei lebe und sowohl an
deren Politik wie Hintergründen sehr interessiert bin und auch die öffentliche
politische und journalistische Arbeit in Deutschland gerade bezüglich Türkei
verfolge, sehe und erlebe ich die große Diskrepanz. Ich verstehe gerade aus
deutscher Erfahrung, dass man im Gespräch mit der Oppostion zu mehr Wahrheit zu
gelangen meint. Doch hat sich mal jemand überlegt, dass in der Türkei mit der
AKP eine Art Oppostion mit übrigens demokratischen Mitteln an die Regierung kam
und die bisherigen Regierungsparteien wie CHP der alten Garde angehört, die mit
Vehemenz das Neue bekämpft? Nur mal als Gedankenspiel? Was nicht bedeutet, dass
Kritik an der Regierung in der Türkei nicht erlaubt ist, sie ist sogar
ausdrücklich gewünscht. Wobei eben konstruktive Kritik mit Aufruf zu Gewalt,
Umsturz oder gar Terror nichts zu tun hat und gerade auch aufgrund der blutigen
und bis heute leidvollen Erfahrungen mit Terror in der Türkei rigoros bekämpft
wird. Was weiß man hier wirklich über die von Dündar angeblich offengelegten
Staatsgeheimnisse? Laut türkischen Medien habe er diese Nachricht übrigens nur
von einem anderen Journalisten übernommen. Sind Sie dem nachgegangen? Auch dass
ihm schon in den Mund gelegt wurde, dass die Waffenlieferungen an den sog. IS
gingen, was er selbst dann sogar dementierte. Insofern ich die Berichte damals
verfolgen konnte, hat er lediglich Waffenlieferungen nach Syrien öffentlich
gemacht, was international völlig unbewiesen für Schlagzeilen sorgte, die Türkei
unterstütze den IS. Auch von ihrem Laudator Lüders, der gern russischer
Propaganda zu folgen scheint. Aber das ist eine reine Vermutung meinerseits. Was
ich sagen will ist nur, dass sich engagierte Menschen nicht dazu benutzen lassen
sollte, vor fremde Karren zu spannen, wo man noch nicht einmal sehen kann, wer
wirklich auf dem Kutschbock sitzt ...“
Antwort der Jury vom 6.11.17 dazu:
1. IALANA und VDW sehen die Würdigung der Tätigkeit von Whistleblowern und ihren Schutz als eine weltweite Aufgabe. Entsprechend haben wir in den letzten 20 Jahren neben deutschen Whistleblowern auch immer wieder Menschen aus anderen Staaten wie u.a. 1999 Alexander Nikitin (Russland), 2003 Daniel Ellsberg (USA), 2005 Prof. Theodore Postol (USA) und Prof. Arpad Pusztai (Schottland/Ungarn), 2011 Chelsea Manning (USA), 2013 Edward Snowden (USA) sowie 2015 Brandon Bryant (USA) und Prof. Gilles-Eric Seralin (Frankreich) mit dem Whistleblowerpreis ausgezeichnet.
2. Ihre Einschätzung der Vorgänge in der Türkei können wir nicht teilen. Seit in der Türkei 2016 der Ausnahmezustand verhängt wurde, sind zehntausende Beamten und Richter mit fadenscheinigen Begründungen („Terrorismus“) aus dem Staatsdienst entlassen und Journalisten wegen ihrer früheren Berichterstattung verfolgt, in Haft genommen und ohne faires Verfahren verurteilt worden. Die türkische Justiz einschließlich des Verfassungsgerichts sind durch exekutive personelle und strukturelle Eingriffe des Erdogan-Regimes weithin „gleichgeschaltet“ worden. Weltweit wird die türkische Regierung wegen der Missachtung der Menschenrechte kritisiert, u.a. auch von der „Venedig-Kommission“ und vom Menschenrechtskommissar des Europarates. Die Sorge um den Erhalt minimaler rechtsstaatlicher Strukturen in der Türkei und über das Fehlen einer unabhängigen Justiz ist allgemein.
3. Die „LKWs des türkischen Geheimdienstes“ waren, nachdem die Gendarmerie sie im Auftrag der Staatsanwaltschaft Adana im Jan 2014 angehalten und durchsucht hatte, durchaus auch Thema in der internationalen Presse - verstärkt noch durch die sofort von Erdogan angeordnete Nachrichtensperre über den Vorfall.
4. Dr. Can Dündar hat die Veröffentlichung in Cumhuriyet Ende Mai 2015 nicht auf mündliche Infos durch einen anderen Journalisten gestützt, sondern auf das von der Gendarmerie bei der Durchsuchung der LKWs gedrehte Video, das ihm in Kopie von einem bisher namentlich nicht bekannten Informanten (er selbst spricht von einem Abgeordneten) übergeben worden war. Das Material ist uns als Jury bekannt und das einschlägige Video über youtube zugänglich:
<https://www.youtube.com/watch?v=5MGUwhjArug&feature=youtu.be>
Niemand - auch nicht die türkische Regierung - hat die Echtheit des von Dr. Dündar benutzten Videomaterials bestritten. Erdogan selbst hat im Fernsehen nur den Geheimnisbruch durch Dündar angegriffen. Aber ein durch eine Regierung begangener Bruch internationalen Rechts kann keinen Geheimnisschutz beanspruchen.
5. Dr. Can Dündar hat immer davon gesprochen, dass die vom türkischen Geheimdienst nach Syrien transportierten militärischen Waffen an „radikal-islamistische Kämpfer“ (sc. gegen die syrische Regierung) gehen sollten. Das hat er nie dementiert. Die größte der terroristischen Rebellengruppen war der IS, andere standen diesem nahe. Für das Völkerrecht macht es im übrigen keinen Unterschied, an welche der Gruppen die Waffen durch den türkischen Geheimdienst geliefert wurden: es bleibt eine illegale Einmischung in einen Bürgerkrieg von außen. Dies hat auch in seinen Veröffentlichungen der Publizist und Nahost-Experte Dr. Michael Lüders immer betont. Heute, zwei Jahre später, ist die Unterstützung der syrischen Terroristen durch die türkische Regierung offenkundig (vgl. Äußerung der deutschen Bundesregierung in: <http://www.zeit.de/2016/36/terrorismus-tuerkei-islamisten-unterstutzung-vorwuerfe>. Dazu hat auch das Whistleblowing von Dr. Can Dündar entscheidend beigetragen. Deswegen würdigen wir ihn mit dem Whistleblowerpreis 2017.