Am 17.Januar 2018 schrieb der Vorsitzende Otto Jäckel an den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz:

 

Sehr geehrter Herr Schulz,

 

Wir wollen eine neue Politik und kein „Weiter so“. Unter dieses Motto haben Sie in erfreulicher Weise den für den 21. Januar 2018 geplanten Sonderparteitag der SPD gestellt, in dem über einen erneuten Eintritt in eine Koalitionsregierung mit der CDU/CSU entschieden werden soll.

Was die Außen- und Sicherheitspolitik anbelangt, konnten wir dem Sondierungsergebnis entnehmen, dass Sie sich vorab mit der CDU/CSU auf eine Erhöhung des Haushalts für Verteidigung und Entwicklung um zwei Milliarden EUR bis 2021 verständigt haben. Dies entspricht jedoch nicht den Erwartungen der Zivilgesellschaft an eine sozialdemokratische Friedenspolitik in der Tradition von Willy Brandt.

Wir möchten Sie daher bitten, den Parteitag zu nutzen, um klarzustellen, dass die SPD Frau Merkel nur dann erneut zu einer Regierungsmehrheit verhelfen wird, wenn in Koalitionsverhandlungen zu folgenden zwei Punkten eine Einigung erzielt wird.


 

 

  1. Der Forderung nach Erhöhung der Militärausgaben auf 2% des Bruttoinlandsprodukts muss eine ausdrückliche Absage erteilt werden!

 

Dabei ist all denjenigen, wie etwa dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands Wüstner in seiner Erklärung vom 14.01.2018, die den Eindruck vermitteln möchten, bei der 2% Forderung handele es sich um eine verbindliche Regelung, an die Deutschland als NATO-Mitglied gebunden sei, folgendes entgegen zu halten.

Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten haben bei ihrem Treffen in Wales im September 2014 Ziele für ihre künftige Militärpolitik formuliert. Diese seien von folgenden Überlegungen geleitet „guided by the followingconsiderations“. „Bündnispartner, deren Militärausgaben unter 2% des BIP liegen, werden

- die Verteidigungsausgaben nicht weiter kürzen;

- darauf abzielen, die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen;

- darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2% zuzubewegen („… aim to move towards the 2% guideleline within a decade“).

 

Prozentvorgaben dieser Art stellen lediglich eine politische Willensbekundung dar („non-binding requirement“, „informal benchmark“). Sie enthalten jedoch keine rechtlich bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 2 – 3000 – 034/17 vom 21. März 2017).

Diese Bewertung wird durch den Wortlaut der Waliser Erklärung gestützt. Dort ist nur von Überlegungen (considerations) die Rede und davon, dass die Bündnispartner auf einen bestimmten „Richtwert… abzielen“ (aim to … guideline). Eine Textform wie sie für bindende Verträge üblich ist (z.B. „Die Parteien verpflichten sich“) fehlt vollkommen. Außerdem fehlen jegliche Regeln für den Fall der Nichteinhaltung von Abreden. Die Gipfelerklärung hat somit schon von der Sprachform her den Charakter einer bloßen Absichtserklärung.

Eine solche Auslegung entspricht auch den Regeln des NATO-Vertrags. Nach dessen Artikel 5 werden die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihres BIP für Verteidigung aufzuwenden. Vielmehr leistet jeder Bündnispartner im Falle eines bewaffneten Angriffs „Beistand“ durch Maßnahmen, die er für erforderlich hält. Konkrete Militärbeiträge oder gar Verpflichtungen zur Aufrüstung sind im NATO Vertrag nicht vereinbart.

Auch im Innenverhältnis ist der Beschluss von Wales für Deutschland nicht bindend. Die Unterschriften von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem Dokument von Wales zielen auf wesentliche Festlegungen für die deutsche Militärpolitik ab und betreffen die Haushaltspolitik des Bundes für die kommenden Jahre. Entscheidungen hierüber fallen jedoch allein in die Zuständigkeit des Parlaments. Solange der Bundestag keine Haushaltsentscheidungen im Sinne der politischen Selbstverpflichtung trifft, bleibt diese eine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung.

 

  1. Deutschland muss den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen!

 

Mit dem am 07. Juli 2017 in New York von 122 Staaten ausgehandelten Atomwaffenverbotsvertrag wurde endlich die groteske Situation beendet, dass sowohl Chemiewaffen als auch biologische Waffen durch Verbotsverträge geächtet sind, nicht aber die schrecklichsten der Massenvernichtungswaffen.

Inzwischen haben bereits 53 Staaten den Vertrag unterzeichnet und drei Staaten – darunter der Vatikan - haben ihn ratifiziert. Wie kann es für die SPD akzeptabel sein, dass Deutschland sich in dieser für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wesentlichen Frage von der Gemeinschaft der Völker isoliert und ein Verbot der Atomwaffen ablehnt? Wie kann es sein, dass die SPD zulässt, dass Deutschland an der Seite der Atommächte steht, die sich seit der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags im Jahr 1968 beharrlich weigern, ihre vertragliche Verpflichtung aus Artikel VI dieses Vertrages zu erfüllen und mit dem ersthaften Willen zur Einigung über eine völlige Abrüstung und Abschaffung aller Atomwaffen zu verhandeln? Welchen Sinn für die Deutsche Sicherheitspolitik soll ein solches Verhalten machen, wo Deutschland sich doch im Atomwaffensperrvertrag dazu verpflichtet hat, niemals selbst Atomwaffen herzustellen oder von anderen Staaten in Besitz zu nehmen? Wie will die SPD dauerhaft ihren Wählerinnen und Wählern erklären, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten des Europaparlaments zwar gemeinsam mit ihren christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen im Oktober 2016 alle Staaten der Europäischen Union dazu aufgerufen haben, sich konstruktiv an den Vertragsverhandlungen zu beteiligen, SPD und CDU/CSU in der Großen Koalition jedoch anschließend die Entscheidung getroffen haben, die Verhandlungen des Atomwaffenverbotsvertrags zu boykottieren?

Wann wenn nicht jetzt besteht die Möglichkeit, diesen für die Glaubwürdigkeit der SPD fatalen Widerspruch zu korrigieren und sich wieder als Partei des Friedens und der atomaren Abrüstung zu profilieren?

Wir bitten Sie sehr, in Ihren Beratungen auf dem Sonderparteitag am kommenden Sonntag diese beiden Punkte als vordringliche Gegenstände deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu behandeln und in Ihre Beschlussfassung einzubeziehen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Otto Jäckel