Mehr als 11  Jahre nach dem Luftangriff bei Kunduz in Afghanistan im September 2009, den der Bundeswehr-Oberst Klein angeordnet hatte, hat das Bundesverfassungsgericht als letzte deutsche Instanz den Schadenersatzanspruch von Angehörigen der Opfer des Angriffs gegen die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt.

Allerdings ließ das Karlsruher Gericht offen, ob es grundsätzlich in solchen Fällen einen Anspruch geben kann.

Zwei Angehörige von Afghanen, die bei dem Luftschlag am 4. September 2009 ums Leben gekommen waren, hatten vor deutschen Gerichten auf eine Entschädigung geklagt. Der damalige Oberst Georg Klein, Kommandeur des Provincial Reconstruction Teams (PRT) der internationalen Mission in Afghanistan, hatte nach der Entführung von zwei Tanklastern durch Aufständische einen Luftangriff auf die am Ufer des Kunduz-Flusses steckengebliebenen Fahrzeuge angeordnet, weil er einen Angriff mit diesen Tankern auf das PRT befürchtete. Bei dem Luftschlag kamen zahlreiche Zivilisten ums Leben, die aus den Tanklastern Treibstoff abzapfen wollten.

Beginnend mit dem Landgericht Bonn hatten danach das Oberlandesgericht Köln und der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem damaligen PRT-Kommandeur keine Amtspflichtverletzung vorzuwerfen sei. Mit dem jetzigen Beschluss lehnte es das BVerfG ab, eine Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile der vorangegangenen Instanzen anzunehmen.

Aus der Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Ob in einem bewaffneten Konflikt eine Amtspflichtverletzung deutscher Soldaten vorliegt, bemisst sich nach der Verfassung, dem Soldatengesetz und vor allem den gewaltbegrenzenden Regeln des humanitären Völkerrechts. Nicht jede Tötung einer Zivilperson im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen stellt auch einen Verstoß hiergegen dar. Ein solcher ist nach dem Urteil nicht deshalb gegeben, weil vor dem Befehl zum Bombenabwurf nicht habe ausgeschlossen werden können, dass sich im Zielgebiet auch Zivilisten aufhielten. Der Oberst i. G. der Bundeswehr habe bei Erteilung des Angriffsbefehls die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft, bei der notwendigen ex ante-Betrachtung eine gültige Prognoseentscheidung getroffen und somit keine Amtspflichtverletzung begangen.

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts widersprach aber in ihrer Entscheidung ausdrücklich der Einschätzung des Bundesgerichtshofs, dass solche Schadenersatzansprüche nach Handlungen von deutschen Soldaten ausgeschlossen seien:

Nicht ausgeschlossen erscheint dagegen, dass der Bundesgerichtshof die Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz verkannt hat, als er Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Grundgesetz) als Folge von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland generell verneint hat.
a) Angesichts der grundsätzlichen Bindung aller deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte, die auch bei Handlungen im Ausland besteht, begegnet das Urteil insoweit Zweifeln. Die Haftung für staatliches Unrecht ist nicht nur eine Ausprägung des Legalitätsprinzips, sondern auch Ausfluss der jeweils betroffenen Grundrechte, die den zentralen Bezugspunkt für staatliche Einstandspflichten bilden. Die Grundrechte schützen nicht nur vor nicht gerechtfertigten Eingriffen des Staates in Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger und sind insoweit Grundlage von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen, die die Integrität der grundrechtlichen Gewährleistungen sicherstellen. Wo dies nicht möglich ist, ergeben sich aus ihnen – und nicht allein aus dem auf einer politischen Entscheidung des Gesetzgebers beruhenden einfachen Recht – grundsätzlich auch Kompensationsansprüche, sei es als Schadensersatz-, sei es als Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen. Eine derartige Rückbindung der staatlichen Unrechtshaftung ist heute ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im europäischen Rechtsraum.
Dies wird schon wegen des Vorrangs der Verfassung durch die vom Bundesgerichtshof angeführten Gründe, die gegen eine Anwendung des Amtshaftungsrechts auf Auslandseinsätze der Bundeswehr sprechen könnten, insbesondere die Beeinträchtigung der internationalen Bündnisfähigkeit Deutschlands und die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, nicht in Frage gestellt.

Hier im Wortlaut der Beschluss vom 18. November 2020 2 BvR 477/17

 

Anhängig ist noch die Beschwerde vor dem EGMR in Straßburg gegen die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen Oberst Klein.