(aus NDR – Streitkräfte und Strategien - Sendung von Andreas Flocken-   vom 29.01.2012)


Es gibt Kriege, die werden nie erklärt. Die Öffentlichkeit erfährt nur gelegentlich von spektakulären Einzelaktionen oder von scheinbar unbedeutenden Zwischenfällen. Für sich genommen scheinen sie keinen Sinn zu ergeben, wie Puzzle-Teile, die erst beim Zusammensetzen ein Bild entstehen lassen. Doch man muss kein leidenschaftlicher Puzzle-Spieler sein, um zu erkennen, dass seit vielen Jahren ein Geheimkrieg gegen das Atomprogramm Teherans geführt wird. Die Hinweise häufen sich, dass er heftiger wird. Zunächst sabotiert der Computer-Virus „Stuxnet“ die Urananreicherung in der Anlage in Natans. Dann ist da die Serie von fünf Attentaten gegen iranische Wissenschaftler, die alle am Atomprogramm mitgearbeitet haben sollen. Am 12. November vergangenen Jahres ereignet sich auf einer Raketenbasis eine große Explosion, die den Chef des Entwicklungsprogramms für ballistische Raketen mit in den Tod reißt. Und Anfang Dezember wird eine hochmoderne US-Aufklärungsdrohne im Iran zur Notlandung gezwungen. Doch das sind nur die jüngsten Ereignisse in einem Krieg der Geheimdienste, der bereits Jahrzehnte andauert.

In seinem 2008 veröffentlichten Buch spricht der israelische Journalist und Geheimdienstexperte Ronen Bergman von einem dreißigjährigen Krieg:


„Das Buch mit dem Titel ‚Der geheime Krieg gegen den Iran‘ ist eine Beschreibung des Krieges, der im Nahen Osten schon sehr lange andauert. Es handelt sich um einen verdeckten Krieg, der sich abspielt zwischen dem Westen und dem Iran. Auf der einen Seite stehen hauptsächlich die Geheimdienste der USA und Israels, die CIA und der Mossad, und andere Nachrichtendienste westlicher Länder mit gelegentlichen Auftritten des britischen MI6 des französischen Geheimdienstes und des deutschen BND. Und auf der anderen Seite steht das klerikale Regime des Iran.“

Seitdem das iranische Regime sich offenbar 1989 entschieden hat, Nuklearwaffen anzustreben, versucht Israel, dies zu vereiteln, mit allen Mitteln. Die Israelis sehen in einer iranischen Atombombe eine existenzielle Bedrohung. Wie todernst es ihnen damit ist, erfuhr die Regierung Bush, als sie gebeten wurde, israelischen Kampfjets für den geplanten Angriff auf die Urananreicherungsanlage in Natans zu erlauben, den irakischen Luftraum zu durchqueren, der damals von den US-Besatzungstruppen kontrolliert wurde. Präsident Bush lehnte ab. Er entschied sich, Israel auf andere Weise zu unterstützen. Im März 2008 befahl er verdeckte Operationen gegen den Iran, wie der US-Journalist Seymour Hersh enthüllte:
„Diese Operationen, für die der Präsident um bis zu 400 Millionen Dollar nachsuchte, sind in einem Geheimdienstbefehl niedergelegt, den Bush unterzeichnet hat. Sie zielen darauf, das klerikale Regime zu destabilisieren. Mit den verdeckten Aktivitäten sollen ethnische Minderheiten und Dissidentengruppen unterstützt werden. Außerdem sollen Informationen über das vermutete geheime Atomwaffenprogramm des Iran gesammelt werden.“

Seither wird systematisch versucht, alle iranischen Bemühungen zu sabotieren, die zu einer einsatzbereiten Atomwaffe führen könnten. „Counterproliferation“ lautet der Oberbegriff für Ausfuhrbeschränkungen, Sabotage und militärische Präventivschläge. Fast gebetsmühlenartig wiederholt die Regierung Obama, dass die „militärische Option“, also ein Präventivschlag gegen identifizierte iranische Atomanlagen, wie es heißt, „auf dem Tisch bleibt“. Doch ein Luftschlag hätte unabsehbare politische Folgen. Zudem ist er militärisch kompliziert und nur begrenzt erfolgversprechend, wie zahlreiche Planspiele gezeigt haben. Die US-Luftwaffe vermag zwar alles zu treffen, was sie als Ziel identifiziert hat. Aber Nachrichtendienste und Luftaufklärung bezweifeln, dass sie alle relevanten Elemente des iranischen Atomwaffenprogramms ausgemacht haben. Mehr noch: Trotz aller Anstrengungen besteht nicht einmal hundertprozentige Gewissheit, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm im Sinne systematischer, koordinierter, auf das Ziel der Waffenfähigkeit gerichteten Anstrengungen tatsächlich verfolgt. Der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA vom November führt zwar eine Reihe verdächtiger Aktivitäten an, die nur erklärlich sind, wenn man unterstellt, dass Teheran auf dem Weg von der Urananreicherung zu einer Atomwaffe ist. Aber die Schlussfolgerung der IAEA fällt eher zurückhaltend aus –auch wenn der Report beispielsweise von Israel ganz anders interpretiert wird. Wörtlich heißt es in dem Bericht:
„Die Informationen weisen darauf hin, dass die Aktivitäten bis zum Ende des Jahres 2003 im Rahmen eines strukturierten Programms erfolgten. Es gibt auch Hinweise dafür, dass einige Aktivitäten, die für die Entwicklung eines Nuklearsprengkörpers von Bedeutung sind, nach dem Jahr 2003 fortgeführt wurden und einige möglicherweise noch immer fortgesetzt werden.“

Das heißt: seit neun Jahren gibt es zwar eine Reihe von Indizien, aber weiterhin keinerlei Beweise, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm verfolgt, das diese Bezeichnung verdient. Man könnte vermuten, dass die IAEA sich aus diplomatischen Gründen sehr vorsichtig äußert. Doch auch die US-Nachrichtendienste sind frustriert. Ein hochrangiger US-Geheimdienstler ließ sich hierzu im vergangenen Jahr von dem Journalisten Seymour Hersh nur anonym zitieren: „Entscheidend ist doch, dass wir in den letzten vier Jahren nichts wirklich Neues in Erfahrung bringen konnten. Keine unserer Anstrengungen, weder Informanten, noch Spionagekommandos oder heimlich aufgestellte Sensoren, nichts weist auf eine Bombe hin.“ Und US-Verteidigungsminister Panetta sagte Anfang des Monats zu den Absichten des Teheraner Regimes: "Ob sie versuchen eine Nuklearwaffe zu entwickeln? Nein. Aber wir wissen, dass sie die Fähigkeit dazu anstreben. Das macht uns Sorgen. Unsere rote Linie ist dann überschritten, wenn sie eine Nuklearwaffe entwickeln.“

Die Israelis ziehen ihre rote Linie sehr viel enger. Sie wäre bereits überschritten, wenn der Iran bereits zu 20 Prozent angereichertes Uran noch höher anreichert, weil es dafür keinerlei zivile Verwendung gibt, oder wenn Uran und Zentrifugen in die neue unterirdische Atomanlage Fordo verbracht werden. Mit ihren Bombenangriffen auf den irakischen Reaktor Osirak 1981 und auf die Reaktorbaustelle bei Al Kibar in Syrien 2007 haben die Israelis gezeigt, dass sie im Zweifel lieber früher zuschlagen, als zu spät.

Für Präsident Obama stellt die niedrigere Schmerzgrenze der israelischen Führung ein Risiko dar. In dieser verzwickten Lage scheint alles erlaubt, womit Zeit erkauft werden kann, was den Fortschritt von Irans Atomaktivitäten behindert. Informationen darüber, was der Iran in Fordo und anderswo treibt, sind aus zwei Gründen wichtiger denn je: Erstens, um die Israelis von voreiligen Schritten abzuhalten. Zweitens, um nötigenfalls weitere gezielte Sabotageaktionen starten zu können. Mitte November unterstrich US-Sicherheitsberater Donilon die Bedeutung von Überwachung:
„Wir müssen wachsam sein. Und wir werden es sein. Wir werden mit allergrößtem Nachdruck daran arbeiten, alle Atom bezogenen Anstrengungen des Iran aufzudecken.“ Wie zum Beweis musste wenige Tage später eine moderne US-Aufklärungsdrohne vom Typ RQ-170 Sentinel im Iran notlanden. Ihre Navigation war gestört worden. Die Drohne war mit Videokameras ausgestattet, die eine ununterbrochene Überwachung ausgewählter Ziele ermöglichen. Mit dem gleichen System war es gelungen, das Versteck Bin Ladens im pakistanischen Abottabatt zu entdecken, ohne dass er selbst je gesichtet wurde.
Öffentlich setzt der Westen auf Diplomatie und Sanktionen, um eine iranische Atombombe zu verhindern. Bisher ohne Erfolg. Ob das von der EU verhängte Öl-Embargo Teheran zu mehr Kompromissbereitschaft bewegen wird, ist ungewiss. Deshalb wird der verdeckte Krieg gegen den Iran fortgeführt.