Immer neue Drohungen gegen Teheran: Ein Krieg gegen Iran könnte den Untergang des zionistischen Israels bedeuten
<Aus: junge Welt, 22. Dezember 2011>
Die CIA genießt nicht den Ruf einer seriösen Behörde. Man sollte ihr nicht zu viel Vertrauen schenken. Das schließt nicht aus, daß der US-Geheimdienst in dem einen oder anderen Fall durchaus zu richtigen Erkenntnissen gelangt. Dies könnte auf eine Studie zutreffen, die er am 12. Februar 2009 veröffentlichte und in der er »den Untergang des zionistischen Israels innerhalb von zwanzig Jahren« voraussagte, »wenn die allgemeinen Trends sich fortsetzen«. Diese Trends sah die CIA nicht in den nuklearen Ambitionen Teherans. Nein, die Prognose basiert auf der Einschätzung, »daß es unwahrscheinlich ist, daß die israelische Führung auch nur zu minimalen Konzessionen bereit ist, um zu einer Verständigung mit ihren Nachbarn und deren zunehmend desillusionierten und rasch wachsenden, Würde und Gerechtigkeit verlangenden Bevölkerungen zu gelangen«. Die Studie verschwand sofort wieder, denn die Annahme war realistisch und die Voraussage ähnelte gefährlich der berüchtigten Prophezeiung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vom Untergang Israels.
Damals war Leon Panetta Direktor der CIA und hatte die Studie offensichtlich abgesegnet. Als er nun im Oktober 2011 nach Israel aufbrach, war er Verteidigungsminister der USA – und er hatte die Studie in der Tasche. Die israelische Führung reagierte verärgert, nicht so sehr auf die Mahnung, daß die Zukunft nicht mit militärischen Mitteln zu sichern sei, sondern auf die Warnung, daß sich Israel nicht unbegrenzt auf die finanzielle Unterstützung der USA verlassen könne. Entweder mache es Frieden mit den Palästinensern, oder es werde untergehen.
Gescheiterter Staat
Die USA stehen vor einem echten Dilemma. Einerseits wollen sie einen Staat retten und erhalten, der zunehmend die Symptome eines »Failing state«, eines »gescheiterten Staates« aufweist. Andererseits wollen sie einen Staat beseitigen, der sich trotz Sanktionen und Isolierung als immer dominanter im arabischen Umfeld erweist. Man sollte nicht vergessen, was Zbigniew Brzezinski, außenpolitischer Berater der US-Präsidenten von James Carter bis Barack Obama, Ende der 90er Jahre als geostrategisches Ziel Washingtons mit dem Begriff »Greater Middle East« verkündete: die Ausrichtung aller Länder von der Türkei bis Pakistan auf die Interessen der USA – mit allen notwendigen Mitteln. Das ist den Präsidenten bisher bei allen Staaten ohne Rücksicht auf Verluste gelungen, außer Iran. Aber die letzte »antiamerikanische« Bastion im Mittleren Osten, umgeben von US-Protektoraten und Vasallenregierungen, wird derzeit für den Umsturz vorbereitet.
Im April 2011 bekannte der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Mohamed ElBaradei in einem Interview, daß die Amerikaner und Europäer im Atomstreit nie an einem Kompromiß mit der Regierung in Teheran interessiert waren, »aber an Regimewechsel – durch jegliche notwendige Mittel«. Sein Nachfolger, der Japaner Jukija Amano, hatte bereits zwei Monate nach seiner Wahl im Juni 2009 dem US-Botschafter Glyn Davies zugesagt, seine Aufgabe in Übereinstimmung mit den strategischen Schlüsselentscheidungen der USA in der Iran-Angelegenheit zu erfüllen. Sein Bericht vom November 2011 interpretierte zwar nur alte Erkenntnisse neu und sammelte weitere Anschuldigungen gegen Iran von ausländischen Geheimdiensten, scheute aber doch davor zurück, die iranische Führung zu bezichtigen, definitiv atomares Waffenmaterial zu produzieren. Es reichte wieder nur zur Verkündung weiterer Sanktionen – mit der Drohung, daß man sich alle notwendigen Mittel vorbehalte.
Aus den Erfahrungen mit dem Nachbarland Irak weiß man, daß Sanktionen die Iraner nicht zum Verzicht auf ihr Atomprogramm zwingen werden. Es bleibt also die Frage: Ist ein Krieg gegen Iran unausweichlich? Fast jede Woche hört man erneut entsprechende Drohungen aus Israel, ob von Politikern oder Militärs. Auch aus den USA kommen regelmäßig Meldungen über Kriegspläne gegen Iran. Der US-Ökonom Daniel Ellsberg, der in den 70er Jahren den Pentagon-Skandal aufdeckte, wußte schon 2006 von Angriffsplänen: »US-Präsident George W. Bush und Vizepräsident Richard Cheney hegen solche Gedanken seit mindestens 18 Monaten. Sie haben ihre Militärstäbe insgeheim angewiesen, mögliche Atomangriffe auf unterirdische Atomenergieanlagen im Iran zu planen, ebenso wie umfassende konventionelle Luftangriffe auf überirdische militärische Energieanlagen und Kommandoposten. Philip Giraldi, ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter, hat vor einem Jahr im American Conservative berichtet, das Büro von Vizepräsident Cheney habe Kontingenzpläne für einen ›Luftangriff in großem Maßstab auf Iran sowohl mit konventionellen Waffen als auch mit taktischen Nuklearwaffen‹ in Auftrag gegeben. ›Mehrere hochrangige Offiziere der Air Force‹, die an der Planung beteiligt seien, seien ›erschüttert über die Implikationen ihrer Arbeit – daß nämlich ein nicht provozierter Angriff mit Atomwaffen auf den Iran in Planung ist –, doch niemand wolle durch Widerspruch seine Karriere gefährden‹.« (Frankfurter Rundschau, 13. Dezember 2006)
Härtere Sanktionen
Derartige Veröffentlichungen reißen seitdem nicht mehr ab. Wenn die nachfolgenden Administrationen bisher Vernunft bewiesen haben, mag das auch an ihrem Wissen liegen, daß ein militärischer Angriff auf die Atomanlagen das ganze Programm zwar verzögern, aber nicht beseitigen kann. Es bedeutet aber nicht, daß sie den gewaltsamen »Regime change« aufgegeben haben. Obama schrieb im vergangenen Jahr an die Regierungschefs von Brasilien und der Türkei einen Brief mit der Bitte, Iran davon zu überzeugen, 1200 Kilogramm angereicherten Urans in der Türkei zu lagern. Drei Wochen später hatten die beiden Regierungen eine entsprechende Einigung mit der Führung in Teheran erreicht. Doch die US-Regierung war nicht mehr interessiert und forderte härtere Sanktionen. Selbst wenn Washington weiterhin zögert, seine Kriegspläne umzusetzen, die größte Gefahr kommt aus Jerusalem von dem gewalttätigen Regime Benjamin Netanjahu/Avigdor Lieberman.
Schon einmal, im Juni 1981, haben israelische Kampfflugzeuge erfolgreich einen irakischen Atomreaktor bei Tuweitha kurz vor seiner Fertigstellung zerstört. Die Arbeiten an ihm standen unter der Kontrolle der IAEA, der die Israelis allerdings mißtrauten. Der UN-Sicherheitsrat reagierte sofort und verurteilte mit der Stimme der USA den »verfrühten Angriff« als »Gefahr für den internationalen Frieden und die Sicherheit« sowie als »eindeutige Verletzung der UN-Charta und der Gesetze internationalen Verhaltens«. Er forderte Israel auf, »in Zukunft solche Angriffe und die Drohung mit ihnen zu unterlassen«. Sanktionen allerdings scheiterten am US-Veto. Es war abzusehen, daß eine folgenlose Rüge Israel nicht von einer Wiederholung abhalten würde. Und so bombardierte dessen Luftwaffe 2007 eine im Bau befindliche Nuklearanlage in Syrien. Diesmal reagierte weder der UN-Sicherheitsrat noch die Arabische Liga.
Weit gefährlicher als das Abenteurertum dieses unverantwortlichen Duos Netanjahu/Lieberman ist der Schutz der USA, der nach jedem kriminellen Unternehmen jegliche Sanktion verhindert. Diese Politik erst öffnet das Terrain für Jerusalems Unberechenbarkeit. Sie wird nicht im Weißen Haus oder im Pentagon gemacht, sondern im Kongreß, der Israels Regierungschef Netanjahu bei seinem letzten Besuch einen triumphalen Empfang bereitet hat. Wer sich auf einen solchen Verbündeten verlassen kann, wird nie Verantwortung zeigen, Interesse an echten Friedensverhandlungen haben, Kompromisse eingehen und sich an die UN-Charta gebunden fühlen. Ein Krieg mit Iran würde jedoch anders aussehen als der mit Gaza: Er könnte den Untergang des zionistischen Israels bedeuten, wie ihn Panetta voraussieht. Dann hätten die USA genau das Gegenteil erreicht, was sie für Israel wollen. Und es ist höchst zweifelhaft, ob sie in Teheran einen »iranischen Karsai« installieren können.
Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht. Er war von 2005 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.
Aus: junge Welt, 22. Dezember 2011