Leitsätze:
1. Grundrechtliche Schutzpflichten des deutschen Staates können grundsätzlich auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern und im Fall von Grundrechtsbeeinträchtigungen oder -gefährdungen durch andere Staaten bestehen, wenn ein qualifizierter Bezug zum deutschen Staatsgebiet vorliegt und aufgrund der Zahl und der Umstände bereits eingetretener Völkerrechtsverstöße konkret zu erwarten ist, dass es auch in Zukunft zu vergleichbaren völkerrechtswidrigen Handlungen des anderen Staates kommen wird.
2. Beeinträchtigen oder gefährden Handlungen eines anderen Staates ein grundrechtliches Schutzgut im Ausland, liegt ein für die Entstehung einer grundrechtlichen Schutzpflicht des deutschen Staates hinreichend enger Bezug zum deutschen Staatsgebiet nur vor, wenn Teilakte des Gesamtgeschehens, die einen relevanten Entscheidungscharakter aufweisen und deshalb für die rechtliche Bewertung maßgeblich sind, im Inland stattfinden.
3. In Bezug auf die völkerrechtliche Beurteilung des Handelns anderer Staaten verfügt die Bundesregierung innerhalb der Bandbreite der vertretbaren Rechtsauffassungen über einen Einschätzungsspielraum.
4. Die Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht kann in Fällen mit Auslandsbezug nur dann festgestellt werden, wenn die Bundesregierung gänzlich untätig geblieben ist oder die getroffenen Maßnahmen offensichtlich völlig ungeeignet oder unzulänglich sind.
hier die Urteilsbegründung im Einzelnen: https://www.bverwg.de/251120U6C7.19.0
JUDGMENT
Art 1 • Jurisdictional link engaging the obligation to investigate civilian deaths due to airstrike ordered during active hostilities in extraterritorial armed conflict • Existence of “special features” establishing link: exclusive jurisdiction of Germany over its troops with respect to serious crimes and obligation to investigate under international humanitarian law (IHL) and domestic law • Afghan authorities prevented for legal reasons from instituting investigation
Art 2 (procedural) • Adequacy, promptness, reasonable expedition and independence of the investigation • Absence of substantive normative conflict between IHL and Art 2 • Facts established in a thorough and reliable manner in order to determine legality of use of lethal force • Participation of next-of-kin and public scrutiny • Existence of remedy to challenge effectiveness of investigation
STRASBOURG
16 February 2021
zum Volltext weiter: Application no. 4871/16
Erste Reaktionen:
a. PM des ECCHR vom 16.2.21: https://www.ecchr.eu/pressemitteilung/egmr-urteil-zur-verantwortung-deutschlands-im-fall-kundus/
b. Markus Sehl in LTO-newsletter vom 16.2.21 - https://www.lto.de/recht/justiz/j/egmr-kundus-deutschland-luftangriff-oberst-afghanistan-zivilisten-bundeswehr/
Von Bernd Hahnfeld und Amela Skiljan (IALANA) 24.1.21
Am Ende des Prozesses gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg mahnte Chefankläger Robert Jackson: „Wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maße, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten den vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu setzen.“ Würde Jackson heute auf die Internationale Strafjustiz blicken, könnte er allerdings kaum Freude empfinden...
weiter als pdf:www.norman-paech.de/app/download/5814821494/International-IStGH.pdf
Von Bernd Hahnfeld und Amela Skiljan (IALANA)
Verhandlungen zum TPNW
Die irreführende und abwertende Bezeichnung des völkerrechtlichen „Vertrags über das Verbot von Kernwaffen“ (TPNW) in zahlreichen Medien (Tagesschau, FAZ, Die Zeit, The Guardian) als lediglich „symbolisch“ verkennt die politische und rechtliche Bedeutung des Vertrages grundlegend. Das Völkerrecht kennt keine „symbolischen“ Verträge. Jeder Staat ist im gleichen Maße berechtigt, an Verhandlungen für internationale Verträge teilzunehmen, sie mitzugestalten und sie zu verabschieden. Art. 6 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 besagt „Jeder Staat besitzt die Fähigkeit, Verträge zu schließen.“ Somit spielt es für die Gültigkeit eines Vertrages keine Rolle, welche Staaten ihn ausgehandelt und verabschiedet haben.
Genauso auch im Falle des TPNW – für seine Gültigkeit spielt es keine Rolle ob die neun Staaten in Besitz von Atomwaffen und die NATO-Staaten sich an den Verhandlungen beteiligt haben.
Die Wirkung des TPNW
Der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein für alle Mitgliedsstaaten völkerrechtlichverbindlicher Vertrag, der wie alle anderen völkerrechtlichen Verträge nach dem Wiener Abkommen über das Recht der Verträge auszulegen und anzuwenden ist. Er verbietet in Art. 1 den Mitgliedsstaaten Atomwaffen zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, zu besitzen oder zu lagern; Atomwaffen einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen; sie auf ihrem Hoheitsgebiet zu stationieren. Unterstützung jeglicher Art für die benannte Tätigkeit ist auch untersagt….
weiter als pdf: https://www.ialana.info/wp-content/uploads/2021/02/Erkl%C3%A4rung-zum-Inkrafttreten-des-Atomwaffenverbotsvertrages_lv.pdf
Lesen sie hier die englische Fassung des Textes:
images/pdf/arbeitsfelder/atomwaffen/atomare abruestung/Declaration_on_the_entry_into_force_of_the_Treaty_on_the_Prohibition_of_Nuclear_Weapons_on_January_22.pdf
Gegenstand der Anfrage war u.a. die Behauptung der Bundesregierung, der Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) sei nicht kompatibel mit dem Nichtverbreitungsvertrag und könne daher nicht unterzeichnet werden.
Wir fragen die Bundesregierung:
Durch welche konkreten Regelungen des Atomwaffenverbotsvertrages (AVV) sieht die Bundesregierung den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) als zentrales Element nuklearer Ordnung bedroht (Bundestagsdrucksache 19/1779, Frage 7)?
Hier die Antworten der Bundesregierung als pdf
Vgl. dazu das völlig abweichende
welches u.a. zum Ergebnis kommt: "Der AVV unterminiert den NVV nicht, sondern ist Bestandteil einer gemeinsamen nuklearen
Abrüstungsarchitektur. Der AVV ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu."
hier finden sie die offizielle englische Übersetzung des Gutachtens
Der Fall Hanan ./. Germany war das Leading-Verfahren der insgesamt weit über 100 zivilen Kundusopfer, die von der Bundeswehr mit 5.000 $ pro Familie „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ abgespeist worden waren, dann aber auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in angemessener Höhe geklagt hatten.Der Fall Hanan ging durch die Instanzen der Zivilgerichte, blieb aber bis zum Bundesgerichtshof ohne Erfolg. Auch die Verfassungbeschwerde wurde letztes Jahr zurückgewiesen.
Parallel hatte der Generalbundesanwalt in Karlsruhe zu entscheiden, ob gegen Oberst Klein ein Strafverfahren eingeleitet werden sollte. Mit Verfügung vom 19.4.2010 wurden die Ermittlungen kurzerhand und offensichtlich ohne wirkliche Aufklärungsaktivitäten eingestellt. Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos, so dass Abdul Hanan dagegen schließlich auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrief, der nun überraschend an der Entscheidung des Generalbundesanwalts nichts zu bemängeln fand.
Dabei stachen Pflichtwidrigkeiten von Oberst Klein hervor: die Luftbilder mit einem ziellosen großen Gewimmel um die Tanklastwagen passte nicht zu einem militärischen Geschehen, insbesondere gab es offenbar keine Bemühungen, die LKW wieder flott zu bekommen, so dass eine Gefahr für das deutsche Feldlager nicht bestand. Mit der falschen Behauptung, es gebe Feindberührung mit den eigenen Verbänden, wurde ein Bombardement durch US-Kampfflugzeuge angefordert, Zweifel der beiden US-Piloten, dass dort auch Zivilisten vor Ort seien, wurden abgetan und der von diesen empfohlene vorherige niedrige Überflug zur Warnung abgelehnt.
Verschiedene Einsatzregeln für den ISAF-Einsatz wurden offensichtlich nicht eingehalten. Insbesondere gab es den strikten Befehl des Oberkommandierenden Generals McChrystal, zivile Opfer unbedingt zu vermeiden. So wurden die beiden Piloten sofort disziplinarisch belangt, abgelöst und strafversetzt, McChrystal forderte auch entsprechende Maßnahmen gegen Oberst Klein. In Berlin wagte man aber den Konflikt mit der Bundeswehrführung nicht, leitete nicht einmal ein wehrdisziplinarisches Ermittlungsverfahren ein und beförderte sogar Oberst Klein zum Brigadegeneral – eine Verhöhnung der Opfer.
Kritik am Urteil des EGMR
Dr. Markus Sehl in LTO vom 16.02.2021
Am 1.12.2017 haben IALANA und VDW gemeinsam den Whistleblowerpreis 2017 u.a.an Can Dündar verliehen.
Wir erinnern uns: im Januar 2014 wurde in der Türkei in der Nähe von Adana ein LKW-Konvoi Richtung syrische Grenze unter dem Verdacht illegaler Waffenlieferungen an die islamistischen Gruppen und den IS im Kampf gegen Assad angehalten und kontrolliert. Es gab Gerüchte, es seien Waffen gefunden worden und die LKW seien vom türkischen Geheimdienst gewesen. Alle Meldungen wurden aber sofort unterdrückt. Da die Unterstützung bewaffneter IS-Gruppen im Kampf gegen die syrische Regierung gegen die UN-Charta und bindende Sicherheitsratsbeschlüsse verstiess, nahm die oppositionelle türkische Presse Recherchen auf, die aber weitgehend ergebnislos blieben. Erdogan selbst bestritt vehement, dass sich auf den LKWs Waffen befunden hätten.
Im Mai 2015 wurde aber der Zeitung Cumhuriyet Videomaterial zugespielt, auf dem Polizisten zu sehen waren, die die großen Kisten auf den LKWs öffneten und darin tausende von Waffen fanden. Dündar als Chefredakteur entschied trotz der Warnungen der Rechtsberater der Redaktion vor drohender Festnahme und Strafverfahren das Material in Form von mehreren Screen-shots am 29.Mai 2015 auf der ersten Seite zu veröffentlichen unter dem Titel: „Hier sind die Waffen, die Erdogan leugnet.“ Der Artikel fand ungeheuren Widerhall in der Türkei und im Ausland. Erdogan stellte persönlich Strafantrag gegen Cumhuriyet und erklärte im Fernsehen: “Der das als Aufmacher veröffentlichte, wird teuer dafür bezahlen. Der kommt mir nicht so davon!“
Pressemittteilung vom 20.Januar 2021
Ein breiter Kreis von 319 Erstunterzeichner*innen fordert die Adressaten auf:
Unterzeichnen und ratifizieren Sie den Atomwaffenverbotsvertrag!
Stoppen Sie die Stationierung der neuen US amerikanischen B 61-12 Atombomben auf dem Fliegerhorst der Bundesluftwaffe in Büchel und die damit verbundene neue gefährliche atomare Aufrüstung auf deutschem Boden!
Unterlassen Sie die geplante Anschaffung von 45 US amerikanischen F 18 Jagdflugzeugen als Kernwaffenträger für das taktische Luftwaffengeschwader 33 der Bundeswehr!
Der Appell „Dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten – nukleare Aufrüstung Deutschlands stoppen!“ samt Erstunterzeichner*innen kann eingesehen, heruntergeladen und unterzeichnet werden auf: https://appell.ialana.de.
Herausgegeben von einem internationalen Team unter Federführung von Grethe Langlo Ostern (Norwegian People Aid) werden auf 302 Seiten zunächst der Status der Diskussion in den Staatengruppen dargestellt, wie sie zur Frage des Beitritts zum TPNW stehen. Dann folgen Materialien zu den einzelnen Bestimmungen des TPNW und für alle Einzelstaaten der UN deren Position zur nuklearen Abrüstung.
Hierüber ist der download als pdf möglich: https://banmonitor.org/about/our-publications